Rose: Kapitel 3

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Kapitel 3: Fronten und Mauern

In Kapitel 2 lernten wir den großen Wert von Ecken und die Gefahr von X-Feldern bzw. C-Feldern kennen. Dieses Wissen allein reicht vielleicht aus, um einen Anfänger zu besiegen, aber es wird dir gegen einen erfahrenen Spieler nicht viel bringen. In Spielen, bei denen sich beide Spieler der in Kapitel 2 vermittelten Strategie bewusst sind, wird keiner freiwillig nachteilige Züge auf C-Felder und X-Felder machen, da damit die Gefahr groß ist, die Ecke zu verlieren. Wenn du also willst, dass dein Gegner diese Züge macht, musst du ihn dazu zwingen, indem du eine Situation erschaffst, in der dein Gegner nur noch schlechte Zugmöglichkeiten vorfindet. Wie das geht, ist Thema dieses Kapitels und tatsächlich auch der größte Teil des restlichen Buches.


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Diagramm 3-1: Diagramm 3-2: Diagramm 3-3:
Weiß ist am Zug Schwarz ist am Zug Weiß ist am Zug


Diagramm 3-1 zeigt eine typische Situation zwischen einem Experten (Schwarz) und einem Anfänger (Weiß). Viele Anfänger wählen ihre Züge allein nach der Anzahl der gedrehten Steine. Je mehr Steine gedreht werden desto besser. Schließlich ist das Ziel des Spiels, am Ende so viele Steine wie möglich zu besitzen, deshalb scheint es logisch, mit jedem Zug so viele Steine wie möglich umzudrehen. Dieser Logik folgend, entscheidet sich der Anfänger nach a3 zu setzen, um damit 7 Steine umzudrehen, wie Diagramm 3-2 veranschaulicht. Das Problem dieses Zuges wird deutlich, nachdem Schwarz mit a2 erwidert. Die resultierende Situation wird in Diagramm 3-3 gezeigt.


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Diagramm 3-4: Diagramm 3-5: Diagramm 3-6:
Schwarz ist am Zug Weiß ist am Zug


In Diagramm 3-3 sieht man, dass Weiß einzig und allein die Möglichkeit hat, auf das X-Feld b2 zu setzen (Diagramm 3-4). Dadurch wird unmittelbar die Ecke a1 ausgeliefert (Diagramm 3-5). Außerdem wird Schwarz möglicherweise in der Lage sein, sehr viele sichere Steine in der Nähe dieser Ecke zu bilden. Ferner wird es Schwarz nicht schwerfallen, Weiß demnächst zu einem weiteren Zug auf ein X-Feld zu zwingen. Zum Beispiel: Angenommen das Spiel wird mit der Zugfolge, wie in Diagramm 3-6 gezeigt, fortgesetzt. Als Resultat erhalten wir die Situation, die uns Diagramm 3-7 zeigt. Schwarz kann nun a7 spielen (Diagramm 3-8). Damit hat Weiß wieder nur eine einzige Möglichkeit, einen gültigen Zug auszuführen, nämlich das X-Feld b7 (Diagramm 3-9).


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Diagramm 3-7: Diagramm 3-8: Diagramm 3-9:
Schwarz ist am Zug Weiß ist am Zug Schwarz ist am Zug


In Situationen wie in Diagramm 3-3 und 3-8 kann man sagen, dass Weiß die Züge ausgegangen sind. Um es genauer auszudrücken, sind Weiß die sicheren Züge (Züge, die keine Ecke ausliefern) ausgegangen. Damit ist Weiß gezwungen, die Ecken aufzugeben, und Schwarz kann viele sichere Steine bilden. Dieses Beispiel zeigt uns also, dass einem sehr leicht die (sicheren) Züge ausgehen können, wenn man in der Anfangsphase des Spiels zu viele eigene Steine hat. Sind einem Spieler einmal die Züge ausgegangen, hat er fast schon verloren, denn sein Gegner kann ihn sehr leicht dazu zwingen, schlechte Züge zu machen und damit Ecken aufzugeben.


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Diagramm 3-10: Diagramm 3-11: Diagramm 3-12:
Weiß ist am Zug Schwarz ist am Zug Weiß ist am Zug


Diese Tatsache ist so entscheidend für das Verstehen des restlichen Inhalts des Buches, dass ich noch ein weiteres Beispiel aufführe, nur um sicher zu gehen, dass es ganz klar ist. Wie man in Diagramm 3-10 sieht, dreht Weiß mit g3 (Diagramm 3-11) so viele Steine wie möglich, darauf antwortet Schwarz mit f7 (Diagramm 3-12). Wiederum hat Weiß kaum noch Zugmöglichkeiten; beide verbleibenden Zugmöglichkeiten liefern eine Ecke aus. Schwarz wird es in weiterer Hinsicht nicht schwerfallen, Weiß dazu zu zwingen weitere Ecken aufzugeben (siehe Übung 3-7).

Zur weiteren Verständlichkeit werde ich an dieser Stelle ein paar Othello-Fachwörter vorstellen. Frontsteine (engl. Frontier discs) sind als Steine definiert, die an ein oder mehrere freie Felder angrenzen. Rein technisch gesehen, entsprechen auch die Kantensteine dieser Definition. Sie werden jedoch gewöhnlich nicht miteinbezogen, wenn man von Frontsteinen spricht. Eine Mauer (engl. wall) ist eine verbundene Gruppe aus Frontsteinen der gleichen Farbe. Zum Beispiel in Diagramm 3-10 sieht man, dass die Spielsteine auf den Feldern b3, c3, d3, e3, f3, f4, g4 und g5, Frontsteine der gleichen Farbe sind und gemeinsam eine Mauer bilden. Spielsteine, die komplett von anderen Spielsteinen umgeben sind, werden als interne oder innere Spielsteine bezeichnet. Ein Zug, der viele neue Frontsteine nach sich zieht, wird als lauter Zug bezeichnet. Auf der anderen Seite ist ein Zug, der nur wenige neue Frontsteine bildet, ein leiser Zug.

Das wahre Problem des Zuges von Weiß in Diagramm 3-11 ist nicht, dass so viele Spielsteine umgedreht werden, sondern dass durch den Zug die falschen Spielsteine gedreht werden. Von den neun gedrehten Spielsteinen sind sieben (b3, c3, d3, e3, f3, g4 und g5) Frontsteine, und all diese Steine bilden nun zusammen eine Mauer. Wir sehen hier ein extremes Beispiel für einen lauten Zug, bei dem die komplette schwarze Mauer gedreht wird. Diagramm 3-10 zeigt eine Position, in der Weiß zwischen 9 gültigen Zügen wählen kann (b2, c2, d2, e2, f2, g2, g3, h3, h4 und h5), während Weiß im Diagramm 3-12 nur zwei Zugmöglichkeiten hat (c8, g7). Verglichen dazu, hat sich die Anzahl der Zugmöglichkeiten für Schwarz von sieben (Diagramm 3-10) auf siebzehn (Diagramm 3-11) erhöht.

Denke daran, dass du zumindest einen gegnerischen Spielstein überspringen musst, um einen Spielzug auszuführen. Bildet man eine lange Mauer, hat man keine Möglichkeit mehr, auf die freien Felder hinter der Mauer zu setzen. Gleichzeitig hat dein Gegner durch diese Mauer eine große Anzahl an Zugmöglichkeiten. Dass einem die Züge ausgehen, geht meist Hand in Hand mit dem Bilden von Mauern.

Ein weiteres Beispiel gewährt Einblick in die grundlegende Othello-Strategie. Diagramm 3-13 zeigt eine Eröffnung, die sehr oft in Expertenspielen vorkommt und die Position in Diagramm 3-14 ergibt. Ausgehend von dieser Position, habe ich das Othello-Programm WZebra (mehr Informationen über dieses Programm findest du im Anhang) verwendet, um die Position zu analysieren. Gemäß WZebra, das darauf eingestellt wurde, 20 Züge vorauszublicken, ist der beste Zug für Weiß e2, und die Position wurde bewertet mit +1,73 für Weiß. Das heißt, WZebra rechnet damit, dass wenn beide Seiten perfekt spielen, Weiß mit etwa 2 Spielsteinen (33-31) gewinnen wird.


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Diagramm 3-13: Diagramm 3-14 Diagramm 3-15:
Weiß ist am Zug Weiß + 1,73


Als nächstes habe ich die selbe Position, wie in Diagramm 3-15, mit WZebra analysiert. Der einzige Unterschied war, dass Weiß statt Schwarz erneut am Zug war. Jetzt wirst du annehmen, dass Weiß einen noch größeren Vorteil haben wird, WZebra bewertete die Position nun aber mit -8,84 für Weiß (Diagramm 3-16). Dadurch, dass Weiß wieder am Zug war, wurde dessen Position stark verschlechtert. Wenn wir damit fortfahren, Weiß mehrere Züge ziehen zu lassen, während Schwarz aussetzt, sehen wir, dass jeder der Züge von Weiß neue Frotsteine und damit längere Mauern bildet. Damit werden die Zugmöglichkeiten von Weiß immer mehr eingeschränkt. Schlussendlich ergibt sich die Position in Diagramm 3-18. Weiß sind die Zugmöglichkeiten ausgegangen und dies bedeutet einen riesigen Nachteil. Zusätliche Züge zu bekommen, ist vielleicht in anderen Spielen vorteilhaft, nicht jedoch in Othello!


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Diagramm 3-16: Diagramm 3-17: Diagramm 3-18:
Weiß -8,84 Weiß -10,05 Weiß -34,63


Der Gedanke, einen Zug auszusetzen, könnte eine gute Sache sein, erscheint so abwegig, dass viele Leute gar nie auf diese Idee kommen. Manchen wird diese Tatsache erst klar, nachdem sie jahrelang Othello gespielt haben. Natürlich erlauben es die Regeln des Spiels nicht, einfach auszusetzen, wenn du Lust dazu hast. Auch am Ende des Spiels, wenn es darum geht, so viele sichere Seine wie möglich zu bilden, wirst du kaum daran interessiert sein, einen Zug auszusetzen. In Situationen, in denen das Aussetzen optimal wäre, sollte man nach möglichst leisen Zügen suchen, denn diese kommen einem Aussetzen ziemlich nahe.

Zum Beispiel in Diagramm 3-19 wäre c5 ein idealer Zug für Schwarz. durch diesen Zug werden keine neuen Frontsteine gebildet, und für Weiß ergeben sich keinerlei neue Zugmöglichkeiten. Der Zug auf c5 kommt einem Aussetzen von Schwarz ziemlich nahe. Nun muss Weiß den letzten sicheren Zug setzen (indem der schwarze Spielstein auf g3 übersprungen wird). In Diagramm 3-20 kann Weiß einen leisen Zug auf g3 setzen. Dieser Zug ermöglicht Schwarz nur eine einzige neue Zugmöglichkeit, nämlich h2. Da aber h2 ein ausgesprochen schlechter Zug für Schwarz wäre, kommt der Zug auf g3 wiederum einem Aussetzen sehr nahe. Weiß muss daraufhin einen der anderen verbleibenden Zugmöglichkeiten nützen. In Diagramm 3-21 ist e6 der beste Zug für Schwarz. Obwohl Schwarz damit natürlich einen leisen Zug setzt, ist er nicht so gut, wie die Züge in den letzten beiden Beispielen, da Weiß dadurch zwei neue sichere Zugmöglichkeiten auf d7 und f7 erhält.


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Diagramm 3-19: Diagramm 3-20: Diagramm 3-21:
Schwarz ist am Zug Weiß ist am Zug Schwarz ist am Zug


Eines der Probleme von lauten Zügen ist die Tatsache, dass man in den resultierenden Positionen kaum noch leise Zugmöglichkeiten vorfindet, während es dem Gegner gleichzeitig leichtfällt, leise Züge zu setzen. Daraus kann sich eine Spirale von mehr und mehr lauten Zügen ergeben, die deinem Gegner natürlich mehr und mehr leise Züge ermöglicht, bis du schließlich unter Umständen dazu gezwungen bist, eine Ecke aufzugeben. Ein weiterer Fachausdruck wird uns dabei helfen diese Thematik klarzustellen: Ein giftiger Stein ist ein Spielstein, der einen ansonsten leisen Spielzug in einen lauten Spielzug verwandelt. Ein potentiell leiser Zug, der durch einen vergifteten Stein beeinflusst ist, wird als vergifteter Zug bezeichnet.

In Diagramm 3-19 hat Schwarz zum Beispiel einen wunderbar leisen Zug auf c5. Nehmen wir jedoch an, dass Schwarz stattdessen d7 spielt, wie in Diagramm 3-22 gezeigt. Dieser Zug kann nicht so laut zu sein, weil es in der Mitte des Brettes Steine umdreht, aber wenn du dir das Ergebnis genau ansiehst, wirst du merken, dass fünf neue Frontsteine erzeugt wurden (d2, d4, d5, d6 und d7). Weiß spielt dankbar selbst c5 (Diagramm 3-23), ein leiser Zug, der durch den lauten Zug von Schwarz erst möglich wurde. Jetzt ist Schwarz wieder an der Reihe. Beachte, dass die zusätzlichen schwarzen Steine bei d6 und d7 Giftsteine sind, die viele der potenziell leisen Züge von Schwarz verhindern. Wenn Schwarz g4 spielt (Diagramm 3-24), dreht es f5 und e6 wegen des schwarzen Spielsteins auf d7 um. Dies führt zu einem weiteren leisen Zug für Weiß auf g5. Wenn Schwarz in Diagramm 3-23 a6 oder g6 versucht, bedeutet der schwarze Stein auf d6, dass Schwarz einige der weißen Frontsteine in Reihe 6 umdrehen müsste.


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Diagramm 3-22: Diagramm 3-23: Diagramm 3-24:
Weiß ist am Zug Schwarz ist am Zug Weiß ist am Zug


Schwarz hat in Diagramm 3-23 noch einen leisen Zug übrig, nämlich c7, aber der laute Zug nach d7 hat aus einer kompletten Niederlage ein enges Spiel gemacht. Wenn dir die Ideen in diesem Kapitel neu waren, heiße ich dich bei dem relativ kleinen Prozentsatz der Spieler willkommen, die das wichtigste „Geheimnis“ der Othello-Strategie verstehen. Ausgestattet mit diesen Informationen solltest du bald eine wesentliche Verbesserung deines Spiels feststellen! Wie bei den Grundstrategien in Kapitel 2 musst du jedoch, sobald du beginnst auf Gegner zu treffen, die auch das „Geheimnis“ kennen, etwas tiefer graben, um zu gewinnen. Die nächsten vier Kapitel über Eröffnungen, Kantenspiel, Endspiele und Verteidigung behandeln den Rest dessen, was ich für die Grundlagen der Othello-Strategie halte.




Übungen

Finde in jedem Diagramm den richtigen Zug. Die Lösungen findest du hier.


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Übung 3-1: Übung 3-2: Übung 3-3:
Schwarz ist am Zug Schwarz ist am Zug Schwarz ist am Zug


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Übung 3-4: Übung 3-5: Übung 3-6:
Weiß ist am Zug Weiß ist am Zug Schwarz ist am Zug


Übung 3-7: Stelle die Position von Diagramm 3-12 auf einem Brett nach und spiele die Partie für beide Seiten zu Ende. Beginne mit einem Zug von Weiß nach g7. Versuche eine einfache Lösung für schwarz zu finden, so dass Weiß alle 4 Ecken abgeben muss. Wiederhole dies mit der Position von Diagramm 3-7.

Übung 3-8: Komplettiere das Spiel von Diagramm 3-18 für beide Seiten. Versuche dich davon zu überzeugen, dass obwohl Schwarz nur einen Stein hat, Weiß durch seine Mauern und seine geringen Zugmöglichkeiten im Nachteil ist. Tipp: beginne nicht mit d2! Wenn du denkst, dass Weiß das Spiel gewinnt, wiederhole die Übung nachdem du den Rest von Teil I gelesen hast.



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